Das unsichtbare Problem: Stigma blockiert Tests
Hier liegt der Kern des Problems: In vielen südeuropäischen Ländern herrscht noch immer ein starkes gesellschaftliches Stigma rund um STIs. Was bedeutet das konkret für dich und deine Urlaubsromanze?
Dein/e Partner:in weiß möglicherweise nicht Bescheid. In Ländern wie Italien, Spanien, Griechenland oder Kroatien werden sexuell übertragbare Infektionen noch oft als moralisches Versagen betrachtet, nicht als medizinische Realität. Die katholische oder orthodoxe Prägung dieser Gesellschaften führt dazu, dass Sexualität generell ein Tabuthema bleibt – und STIs erst recht.
Konkret bedeutet das: Deine Urlaubsliebe könnte eine Infektion haben, ohne es zu wissen, weil sie sich aus Scham nie hat testen lassen. Oder sie weiß es, traut sich aber nicht, darüber zu sprechen.
Die Aufklärungs-Lücke: Was nicht gelehrt wird, bleibt unbekannt
Die sexuelle Aufklärung in vielen südlichen Ländern hinkt dem nordeuropäischen Standard hinterher. Während in Österreich, Deutschland, den Niederlanden oder Skandinavien offen über Kondome, STI-Prävention und regelmäßige Tests gesprochen wird, bleiben diese Themen im Süden oft oberflächlich behandelt.
Die Folgen sind messbar:
Geringes Risikobewusstsein in der Bevölkerung
Falsche Vorstellungen über Ansteckungswege
Weniger Routine beim Kondomgebrauch
Seltene STI-Tests, auch bei Risikokontakten
Das bedeutet nicht, dass Menschen aus diesen Ländern verantwortungsloser sind – sie haben schlichtweg weniger Zugang zu korrekten Informationen bekommen.
Kleine Orte, große Probleme: Wenn jeder jeden kennt
Besonders tückisch wird es in kleineren Städten und auf Inseln – also genau dort, wo viele von uns ihren romantischen Urlaub verbringen. In Orten, wo jeder jeden kennt, ist der Gang zur STI-Teststelle praktisch öffentlich.
Stell dir vor: Du lebst auf Kreta oder in einem italienischen Küstenstädtchen. Der Hausarzt kennt deine Familie, deine Nachbarn sehen dich in die Klinik gehen. Die Hemmung, sich testen zu lassen, ist nachvollziehbar riesig.
Für besonders vulnerable Gruppen – schwule Männer, Sexarbeiter:innen, Migrant:innen – ist diese soziale Kontrolle noch belastender. Viele meiden medizinische Einrichtungen komplett, aus Angst vor Diskriminierung oder sozialer Ächtung.
Die Infrastruktur-Falle: Weniger Angebote, höhere Hürden
Während du zu Hause vielleicht problemlos einen anonymen Schnelltest machen oder zu einem niedrigschwelligen Checkpoint gehen kannst, sieht die Realität in vielen südeuropäischen Regionen anders aus:
Was oft fehlt:
Anonyme Testmöglichkeiten
Spezialisierte Beratungsstellen
Mobile Testteams
Online-Beratung in der Landessprache
LGBTQ+-freundliche Praxen
Was das bedeutet: Selbst Menschen, die sich gerne testen lassen würden, finden oft keine passenden Angebote. Die/der Hausärzt:in bleibt die einzige Option – mit allen Problemen bezüglich Diskretion und Stigma.
Die politische Dimension: Wenn der Staat wegschaut
In manchen Ländern fehlt schlichtweg der politische Wille, STI-Prävention voranzutreiben. Anti-Diskriminierungsgesetze für HIV-positive Menschen? Öffentliche Aufklärungskampagnen? Unterstützung für LGBTQ+-Gruppen? Oft Fehlanzeige.
Das sendet ein Signal: STIs werden als individuelles, moralisches Problem gesehen, nicht als gesellschaftliche Gesundheitsaufgabe oder Präventionsmaßnahme. Diese Haltung verstärkt das Stigma und hält Menschen davon ab, Verantwortung für ihre sexuelle Gesundheit zu übernehmen.
Was die Zahlen sagen: MSM als Warnsignal
Besonders aufschlussreich sind die Daten zu Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Die EMIS-Studie von 2017 zeigt deutlich: MSM in südeuropäischen Ländern lassen sich seltener testen als ihre Pendants im Norden – obwohl sie ähnliche Risikoprofile haben.
Warum ist das relevant für dich? MSM gelten als Gruppe mit besonders hohem Risikobewusstsein und guter Vernetzung. Wenn selbst sie in diesen Ländern seltener zum Test gehen, zeigt das die Dimension des Problems. Für die Allgemeinbevölkerung dürfte die Testrate noch niedriger sein.
Warum gerade du betroffen sein könntest
Urlaubsmentalität: Im Urlaub sind wir alle etwas unvorsichtiger, spontaner, risikofreudiger. Was zu Hause selbstverständlich wäre (Kondom, Gespräch über STI-Status), passiert in der Urlaubseuphorie vielleicht nicht.
Die Romanze kann auch hierher kommen: Übrigens gilt das alles auch, wenn du deine südeuropäische Sommerliebe in Österreich hattest – beim Erasmus-Studenten aus Italien, der Au-pair aus Spanien oder dem kroatischen Touristen in Salzburg. Das Stigma und die Aufklärungslücken reisen mit. Auch wenn moderne medizinische Versorgung hier verfügbar wäre, bedeutet das nicht automatisch, dass sie auch genutzt wird. Kulturelle Prägungen und Schamgefühle verschwinden nicht an der Grenze.
Du warst möglicherweise das erste Mal für deine/n Partner:in: Gerade bei jüngeren Menschen sind Urlaubsflirts oft prägende Erfahrungen. Der Wissensstand über sichere Sexualpraktiken kann entsprechend gering sein.
Sprachbarrieren: Über STIs und Verhütung in einer Fremdsprache zu sprechen ist schwierig – oft bleibt es bei nonverbaler Kommunikation.
Dein Aktionsplan: Was jetzt zu tun ist
Sofort: Lass dich testen, auch wenn du keine Symptome hast. Viele STIs verlaufen anfangs symptomlos.
Zeitfenster beachten: Manche Tests sind erst nach einigen Wochen aussagekräftig (HIV-Test nach 6-12 Wochen, andere früher). Lass dich beraten, wann welcher Test sinnvoll ist.
Vollspektrum: Lass nicht nur auf HIV testen, sondern auf das ganze Spektrum (Chlamydien, Gonorrhoe, Syphilis, Hepatitis, HPV je nach Geschlecht).
Kommunikation: Falls noch Kontakt besteht, sprich das Thema behutsam an. Biete gemeinsame Tests an, falls ein Wiedersehen geplant ist.
Das Positive: Du handelst verantwortlich
Du machst dir Gedanken über deine sexuelle Gesundheit – das ist bereits mehr, als viele Menschen tun. Ein STI-Test nach einem Urlaubsflirt ist nicht paranoid, sondern vernünftig.
Denk daran:
STIs sind behandelbar
Früherkennung verhindert Langzeitschäden
Du schützt zukünftige Partner:innen
Du durchbrichst Stigma durch offenen Umgang
Fazit: Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig
Dein südeuropäisches Abenteuer war schön – und soll auch schön bleiben. Ein STI-Test hilft dabei, dass es nicht zu ungewollten Nachwirkungen kommt. Die strukturellen Probleme in vielen südlichen Ländern machen es wahrscheinlicher, dass dein/e Partner:in uninformiert oder ungetestet war.
Das ist kein Vorwurf an die Menschen dort – sie sind Opfer gesellschaftlicher und politischer Versäumnisse. Aber es ist ein Grund für dich, besonders aufmerksam zu sein.
Bottom Line: Nach einem Urlaubsflirt im Süden zum STI-Test zu gehen ist nicht übertrieben, sondern klug. Tu es für dich, für deine zukünftigen Partner:in und für deine Seelenruhe.
Und mal ehrlich: Was ist schöner als die Gewissheit, dass deine Urlaubserinnerungen nur schöne bleiben?
Quellen:
EMIS-2017 (European MSM Internet Survey) Internationale Online-Umfrage zu sexueller Gesundheit bei MSM in Europa: 🔗 https://www.emis2017.eu
ECDC – European Centre for Disease Prevention and Control: STI Surveillance Informationen zur epidemiologischen Überwachung sexuell übertragbarer Infektionen: 🔗 https://www.ecdc.europa.eu/en/sexually-transmitted-infections
Eurobarometer – Öffentliche Meinung in der EU zu sozialen und gesundheitlichen Themen Regelmäßige Umfragen der Europäischen Kommission, z. B. zu Akzeptanz von LGBTIQ-Personen: 🔗 https://europa.eu/eurobarometer
WHO Europe – STI Factsheets Regionale Informationen und Empfehlungen zu sexuell übertragbaren Infektionen: 🔗 https://www.who.int/europe/health-topics/sexually-transmitted-infections
Robert Koch-Institut (RKI) – STI und HIV Surveillance Deutsche Datenlage, Hintergrundinformationen und Empfehlungen: 🔗 https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/S/STD/STD_node.html